Da will man nur einen freundlichen
Besuch abstatten, und dann wird man
behandelt, als wäre man gefährlich.
Wie bereits erwähnt, wollte ich auf dem Weg nach
Hause meinem Therapeuten noch einen netten, kleinen Überraschungsbesuch abstatten.
Zu meiner Enttäuschung schien sich seine Freude in sehr engen Grenzen zu halten. Aber immerhin bat er mich herein und bot mir Tee an. Ich schätze nette Gesten und eine gepflegte Tasse Earl Grey sehr.
Als er mich ersuchte, seine nur kurze Abwesenheit zu entschuldigen, war ich im Begriff misstrauisch zu werden, wollte ihm aber einen gewissen Vorschuss an Vertrauen dann doch nicht vorenthalten. Seine Angegriffenheit und Nervosität rechnete ich der unerwarteten Wiedersehensfreude zu.
Ein Fehler, wie sich bald erweisen sollte. Schon als er begann, eine krampfhaft entspannte Konversation zu pflegen, regte sich in mir der Verdacht, dass etwas mit ihm nicht stimmte.
Nach etwas mehr als 25 Minuten stürmten mehrere
kräftige Männer ins Zimmer und stürzten sich auf mich, verabreichten mir eine Spritze und passten mir ein ungeliebtes Kleidungsstück an, - die berüchtigte "Hab'-Dich-lieb-Jacke"!
Ich denke, dass meine Enttäuschung, meine Erregung, mein Ärger, mein Hass für jedermann gut nachvollziehbar sind. Wie kann ein Arzt und Therapeut, einer der den hippokratischen Eid abgelegt hat, derart hinterlistig mit ihm anvertrauten Patienten umgehen. Aber das lateinische Wort "patientia" bezeichnet ja die Geduld. Und ich habe Geduld, endlos, unerschöpflich, wenn es sein muss, über Jahrzehnte hinweg. Für mich steht fest, dass er und ich über unser Verhältnis zueinander noch viel zu klären haben. Aber die Zeit wird kommen.
Zunächst einmal verbrachte ich eine Nacht in einem ungemütlichen, komplett möbellosen Zimmer. Erst am nächsten Morgen gestattete man mir, die ungastliche Stätte zu verlassen. Daran hatte sicher mein Anwalt einen nicht unerheblichen Anteil. Ich hatte keine Drohungen ausgesprochen, ich war auch nicht aggressiv aufgetreten, weshalb die mir gegenüber eingeleiteten Maßnahmen den Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllten. In meiner unendlichen Großmütigkeit werde ich der Klinik einen teueren und peinlichen Prozess ersparen. Und mit dem Therapeuten ergibt sich sicher noch eine Möglichkeit zu einem gründlichen Gespräch in einer Atmosphäre, wie ich sie so liebe.
Auch wenn er demnächst umzieht. Sogar ziemlich weit weg. Als er kurz das Zimmer verliess, vermutlich, um - wie er es nannte - Hilfe zu rufen, hatte ich Gelegenheit, auf seinem Schreibtisch kurz die Auftragsbestätigung der Möbelspedition zu lesen.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass er sich über alle Maßen über meinen Besuch an seinem neuen Wohnort auf dem Land in Cornwall freuen wird. Das wird bestimmt eine gelungene Überraschung.
Ach, ich werde ihn vermissen ......
© drago 2013