Seriously mad but quite normal: Eine Stunde im Leben von Frau H. - Teil 3

23. August 2013

Eine Stunde im Leben von Frau H. - Teil 3

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Wie vermutet näherte sich erneut, wohl nach der Erledigung seiner Amtsgeschäfte auf dem Rückweg zum Direktorat, der uns bereits bekannte Schulleiter. Ein wenig erstaunt, aber gleichwohl milde lächelnd, wandte er sich an den im Flur stehenden Schüler: "Wieso bist Du denn immer noch hier draussen? Du solltest doch in die Klasse gehen." Wieder war der Blick des vor ihm Stehenden die reine Unschuld, als er erwiderte: "Nicht 'immer noch', Herr Direktor, sondern 'schon wieder'! Ich bin, wie Sie anordneten, in die Klasse zurückgekehrt und habe mich auf meinen Platz begeben. Aber Frau H. meinte sofort, ich solle den Raum wieder verlassen." Mit einem kurzen Achselzucken deutete er seine Hilflosigkeit an. Beim Anhören dieser Worte erstarb das Lächeln des Direktors. Er meinte nur "Komm!", riß die Tür zum Klassenzimmer auf und bellte unfreundlich in das dortige Getümmel, in welches er den Schüler hineinschob: "Also Frau H., so geht's ja nun auch nicht! Der bleibt in der Klasse. Basta!" Dann drehte er sich, ohne eine Reaktion oder Antwort abzuwarten auf dem Absatz um und knallte die Tür zu.

Frau H. stand wie vom Donner gerührt und wusste nicht, wie ihr geschah. Hatten sich nicht nur all diese widerwärtig bösen Freaks gegen sie zusammen gerottet, sondern sich sogar - auf welch magische Weise auch immer - den Schulleiter, ihren stets so freundlich lächelnden Chef, zum Helfer gemacht. Sie erschrak über ihre eigenen Gedanken. Soeben hatte sie ihren Vorgesetzten, den Leiter und Direktor der Lehranstalt, nicht nur mit diesem gemeinen Pack auf eine Stufe gestellt, sondern ihn vielmehr der Komplizenschaft mit diesen Rowdies bezichtigt. Das von ihr so schön und monumental gedachte Gebäude ihres scheinbaren Triumphes brach zerbröselnd in sich zusammen. Und mit ihm ihr gerade mühsam wieder zusammengestoppeltes Selbstwertgefühl.

Der Blick von Frau H. ging für einen Augenblick ins Leere. Dann schüttelte sie kurz den Kopf und fragte mit leiser, zögerlicher Stimme: "Ähm, wo waren wir stehengeblieben?" Statt einer Antwort ertönte das erlösende Klingelzeichen zum Stundenende und zur Pause. Die in ihren Grundfesten erschütterte Lehrerin richtete sich straff auf, schnappte dann ihre Aktentasche und flüchtete aus dem Raum ihrer Schmach und Niederlage. Nur weg hier, weg von diesem Hort der Verrücktheiten. Nach Hause, in die Ruhe, in die traute Geborgenheit des Alleineseins. Und morgen zum Arzt; sie hielte das nicht länger aus. Es war eine völlig verkehrte Welt, in der sie gezwungen war zu leben. Irgendwie musste sie dem allgemeinen Irrsinn, dem um sich greifenden Wahnsinn, dieser Hölle, entgehen.

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