Seriously mad but quite normal: Lieben Sie auch Lyrik?

3. Juli 2014

Lieben Sie auch Lyrik?



Ich bekenne, dass ich seit sehr langer Zeit
ein Liebhaber von Lyrik bin. Und nicht nur
Goethe, Schiller, Eichendorff, Novalis, Hölderlin,
Heine, Kaléko, Klepper, Storm, Gernhardt, Celan,
Ausländer, Stramm, Trakl, Brecht, ach und wie 
sie alle heißen, habe ich begierig verschlungen, 
sondern auch kleine, unbekannte Amateurdichter 
gelesen, vorgelesen. Gedichte, auch manchen
Roman, sollte man ob ihrer Sprache stets laut
lesen, um sie auszuloten, sich hineinzuspüren,
Rhythmen, Betonungen, Schwerpunkte zu ergründen.
Das macht unendlichen Spaß und tut der eigenen
Sprache richtig gut. Was passiert, wenn man wenig
oder gar nicht liest, können sie feststellen, wenn
sie im Bus oder der U-Bahn Jugendlichen zuhören,
wie sie ihre Muttersprache in unbekümmerter 
Brutalität vergewaltigen und verstümmeln.

Jetzt bin ich durch Zufall (sic!)  auf einen der 
großen, deutschsprachigen Dichter gestossen.
Er war mir unbekannt. Was wohl daran lag, dass
er nach dem Zweiten Weltkrieg in Rumänien lebte.

Vieles seiner Lyrik scheint uns heute fremd,
seine Hymnen an den Sozialismus obsolet,
aber solche der Zeit geschuldeten Dinge
muss man überlesen, und plötzlich dringt man
vor zum Kern, zu einer berührenden Sprache
mit reichen Bildern und unendlicher Kraft.
Hier möchte ich ein Beispiel geben:


Ich schenke Dir den Traum. Du darfst nicht wähnen,
Dass meine Rede Dir das letzte gibt.
In meinem Schweigen ist das tiefre Sehnen
Und das Geheimnis, das Dich wahrhaft liebt.

Sieh: meine Augen lügen, wenn sie strahlen;
Was sie geschlossen träumen, das ist wahr.
Die ich im Liede lebe, Lust und Qualen,
sind wirklicher als Mund und Stirn und Haar..

Und was Du sonst von mir in Deinem Leben
In Armen hieltest: Du besaßt es nicht.
Ich habe mich viel tiefer Dir gegeben,
Ich gab Dir meine Seele: das Gedicht.

Dieses Kleinod hat der Dichter im Sommer 1941,
also während des Krieges, verfasst. Er hatte schon
vor dem Krieg Werke geschrieben, mit denen er
sich den Zorn der Nationalsozialisten zuzog. Doch
gerade in seinen unpolitischen Werken offenbart
er soviel Herzenskraft, Tiefgang, innere Weite,
dass es ein Genuss ist, sein Werk zu ergründen.
Mit ihm hat das Buchenland, wie die Bukowina
auf deutsch hieß, ein weiteres Juwel der Dichtung
hervorgebracht. Und nun möchte ich Ihnen den
Namen des Dichters nennen, gleichzeitig Ihnen
sein Werk, das ich auch eben erst entdecke,
innigst ans Leserherz legen. Es lohnt sich.

Das obenstehende Gedicht stammt von:

Alfred Margul-Sperber
(23.09.1898 - 03.01.1967)

© drago 2014



1 Kommentar:

  1. Einen Dichter unverhofft entdecken ist eine tolle Erfahrung. Wie aus dem Nichts bricht die neue Sprache über einen herein, man muss sich einlesen, muss gewissermaßen die "Sprache" dieses einen Dichters sich aneignen und gleichzeitig weiß man schon bei den ersten Versen: Ich werde als ein anderer daraus hervorgehen. Ich habe vor kurzem eine ganz ähnliche Erfahrung mit dem Dichter Karl Krolow gemacht:

    http://pirandilsblog.blogspot.de/2014/05/karl-krolow-der-name.html

    AntwortenLöschen

Irre Drachen freuen sich über verrückte, ernstgemeinte, kritische, lobende oder sonstige Kommentare, wenn sie nicht anonym eingehen. Danke für den Kommentar!